Bewertungsterror

Die swiss digital influencer academy bildet Influencer aus.Als Beruf. Oder Möchte-Gern-Berufung irgendwelcher hohler Tussen, Beaus oderLoredanas, die uns Normalsterblichen mit vielen coolen Filtern und Fotoshopirgendwas völlig Unwirkliches vorgauckeln. Soweit sind wir mittlerweile.Geschuldet ist dies dem Selbstdarstellungswahnsinn. Überall wo man ist, schnellein Foto auf Insta posten oder gleich ein Live-Video starten. Zeige der Weltwie sauglatt du es hast. Wie perfekt alles ist. Der Selbstdarstellungswahnsinnzeigt sich auch bei allen möglichen Bewertungsportalen. Heute kann man fastalles bewerten. Bei Tinder beispielsweise reicht ein blosser Bewertungs-Wischnach rechts oder links für ein allfälliges Sex-Match. Bewertet werden vor allemauch Dienstleistungen, Friseure, Ärzte, Handwerker, Arbeitgeber, Nutten, Werkstätten,Medikamente und ganz ganz viele Hotels und Restaurants. Die Portale heissenhierbei Yelp, Booking.com, HolidayCheck oder TripAdvisor. Sie sind die neuenganz grossen Player in der Tourismusbranche; weisen mittlerweile ein weltweitesUmsatzvolumen von weit über einer Billion Franken auf. TripAdvisor bietetinsgesamt rund 450 Millionen Bewertungen in 28 Sprachen an; jede einzelneMinute schreiben irgendwelche narzisstischen Bumanns oder Rachs 280 neueRestaurant- oder Hotelkritiken, obwohl sie meist nur wenig davon verstehen.Monatlich besuchen über 350 Millionen Menschen diese Bewertungsseite. Und seienwir ehrlich: Auch wir zucken zur TripAdvisor-App, wenn wir uns irgendwobefinden, wo wir uns nicht auskennen. Studien zeigen, dass rund 60 % allerNutzer sich von solchen Bewertungen beeinflussen lassen. Wenn ein Lokal vonGästen gut bewertet wird, steigt es in der TripAdvisor- Rangordnung nach oben.Das bringt Kundschaft. Kritik kann jedoch auch zur existenziellen Gefahrwerden. Zumal man heute weiss, dass rund ein Drittel der Bewertungen fake sind,entweder gekauft oder aber von Mitbewerbern gedisst und vom eigenen Betriebeuphorisiert dargestellt. Wie krass verzerrend dieses Bild ist, zeigt dasBeispiel vom Londoner Restaurant «The Shed at Dulwich». Im April 2017 stellteein Journalist seine schmucke Gartenlaube als Restaurant auf TripAdvisor insNetz, ohne jedoch diese als Gaststätte zu betreiben. Er wies nun alle Freundeund Bekannte an, dem neuen Trendlokal eine überschwenglich-positive Bewertungzu schreiben. Nach sieben Monaten war «The Shed at Dulwich» das beliebtesteRestaurant in London. Krass nicht?

Die Macht der Kunden ist gross. Das erleben wir auch im«Staldbach». Drohte hier doch jüngst eine Frau mit einer schlechten Kritik,weil man sie infolge geschlossener Gesellschaft nicht bedienen konnte. DieEhefrau eines Anwalts und Notars, selbst in der Tourismusbrache tätig, machteihre Drohung war. Gastronomen können dem Bewertungs-Vandalismus leider nichtentgehen. Grundsätzlich sind Kundenbewertungen Entscheidungshilfen und könnenbestensfalls verkaufsfördern sein. Zudem helfen sie die richtigen Kunden imkorrekten Segment anzusprechen. Und wirken sich positiv auf die eigeneConversionsrate aus, die letztlich dafür verantwortlich ist, welches Rankingder Betrieb in Google einnimmt. Schlechte Kritiken muss man als Chancebegreifen, daran arbeiten und sich stetig verbessern. Klar ist aber auch: Wersich nur auf TripAdvisor verlässt,ist meist selbst schuld. Zu gross ist das Potential der Einflussnahme. DieRecherche im Netz, Kritiken auf Blogs oder etablierten Newsseiten und diepersönliche Nachfrage bei Besuchern bietet meist ein realitätsnaheres Bild, alsTripAdvisor. Nicht zuletzt ist es wohl am aller besten, dass man seine eigenenErfahrungen macht. Und, wenn etwas schief geht, direkt dem Wirt die Möglichkeitzur Reaktion bietet.

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